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[zurück][ältere Posting][neuere Posting]  Montag, 15 September 2008 | Blog: 3 | No: 12938     feed-image

morgen einen Anschlag zu verüben, dürfen wir das dann wirklich nicht verwerten?

gibt es hier als PDF

Tetrabyte
(Quelle:ptrace.fefe.de)
Ich war heute von 10 bis 16 Uhr im Bundestag, um der öffentlichen Innenausschuß-Expertenbefragung zum Thema BKA-Gesetz beizuwohnen. Mich hat überrascht, dass von den Experten tatsächlich die meisten Argumente gebracht wurden. Der Endeindruck ist allerdings, dass sie das alles zwar anhören, dann vollständig ignorieren, das Gesetz so durchwinken, und wir dann wieder zum Verfassungsgericht müssen. Im Grunde war das eine einzige Liste an Gründen, wieso das Gesetz so nicht geht, in den meisten Fällen wieso es nicht verfassungskonform ist. Das ist überraschend, hatten die tollen Abgeordneten doch schlicht weite Teile des Gesetzes per copy&paste aus dem Verfassungsgerichtsurteil übernommen. Aber auch beim Kopieren kann man sich offensichtlich inkompetent anstellen.
Die Kernpunkte, die ich mitgenommen habe:
  • "Die Sauerländer" ist jetzt unser 9/11. Der Ziercke hat sich nicht entblödet, über 10 Mal die Sauerländer zu zitieren, und damit irgendwelche Dinge rechtfertigen zu wollen. So erzählte er, dass sie die Sauerländer abgehört haben, und so wussten, wann sie zugreifen müssen, aber sie hatten nicht gehört, dass jemand den Raum verlassen hatte, und so konnte der fliehen, und hat dann später auf einen BKA-Beamten geschossen. Er verstieg sich dann zu der Aussage, optische Wohnraumüberwachung hätte Menschenleben retten können (obwohl der Beamte noch lebt, sie den Terroristen erwischt haben, laut Zierckes eigener Aussage die LKAs auch optisch überwachen dürfen und wunderbar mit dem BKA zusammenarbeiten, insbesondere auch in diesem Fall, aber offenbar nicht gut genug für die Weitergabe der optischen Überwachungsdaten).
  • Der aktuelle Kriegsschauplatz ist nicht, ob wir den Bundestrojaner kriegen, sondern ob sie heimlich in die Wohnung einbrechen dürfen, um ihn zu installieren. Der Bundestrojaner ist anscheinend schon Konsens. Einige der Sachverständigen haben zwar angeregt, das noch mal generell zu überdenken, aber sahen das dann selber als nicht realistisch an "so spät im Gesetzgebungsprozess".
  • Ziercke hat so lächerlich schlechte Argumente gebracht, dass es mir die Zehennägel hochgerollt hat. Mit so plumpen Geschichten wäre er schon an einem durchschnittlichen Fünftklässler gescheitert. Ich bin schockiert, dass die Abgeordneten sich von so einem Stuß überzeugen lassen.
  • Die CDU hat alle Vorurteile bestätigt. Da kam dann als Frage ungefähr sowas: "Wenn die Polizei einen Terroristen abhört, wie der seinem Anwalt gesteht, morgen einen Anschlag zu verüben, dürfen wir das dann wirklich nicht verwerten?!?!?" Unter aller Gürtellinie, wie die sich da aufgeführt haben. Lustig war auch, dass die CDU offenbar ihre Hofexperten eingeladen hat, die nur von der CDU befragt wurden, während die anderen alle die echten Experten befragt haben. Der eine CDU-Experte fand dann z.B., dass das verdeckte Betreten der Wohnung auch ohne Verfassungsänderung ginge, wenn man den einen oder anderen Paragraphen geschickt auslegt. Der andere meinte, es bestünde ja kein Grund, an der Redlichkeit der BKA-Beamten zu zweifeln. Nee, klar.
  • Die SPD hat auf ganzer Linie versagt, aber von denen war ja auch nichts zu erwarten.
  • Die FDP hat die Frau Piltz geschickt, ich hätte mir die Leutheusser-Schnarrenberger gewünscht, die Piltz hat da irgendwelche formaljuristischen Detailfragen gestellt ("was bedeutet in diesem Zusammenhang das Wort 'aus'?") und sich ansonsten ein paar rhetorische Scharmützel mit dem Ziercke geführt, der übrigens auf gute Fragen einfach damit reagierte, dass er angab, die Frage nicht zu verstehen. Die Piltz stellte dann die exakt gleiche Frage (drei geschachtelte Schwurbelsätze) nochmal, und Ziercke verstand sie immer noch nicht, und das war das. Suuuuuper. Die FDP hat also auch verloren.
  • Die Linksfraktion hat zu meinem Entsetzen auch völlig versagt. Die haben Petra Pau geschickt, die dann drei Fragen stellte und zwei Stunden vor Ende der Befragung ging. Die Fragen waren zwar nicht so dämlich wie bei der SPD, aber konnten halt inhaltlich nicht überzeugen. Da hatte ich mir deutlich mehr erhofft. Das war ein sehr schwaches Bild.
  • Die Grünen haben den Herrn Wieland geschickt, der ja bisher nicht durch Kompetenz aufgefallen ist in Sachen Innenpolitik. Der war der einzige, der da zumindest rhetorisch mal ein bisschen auf den Tisch gekloppt hat. Die Fragen haben zwar auch keine neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert, aber er hat da zumindest Opposition gemacht. Lustiges Detail, aus dem Gedächtnis zitiert: es ging um die Frage, ob die Benachrichtigungsregelungen im Gesetz nicht dazu führen würden, dass niemand seinen Rechtschutz wahrnehmen könnte. Daraufhin meinte Wieland, Wiefelspütz (der neben ihm sass!) habe gesagt, das sei Absicht, und "Kinder und der Wiefelspütz sagen die Wahrheit" :-)
  • Der Schaar war da, konnte aber nicht überzeugen. Hat da zwei-drei wichtige Punkte gesagt, aber kam dann gegen Ende mit einer echt verstörenden Ansage. Es ging um die Frage der Benachrichtigungen, und da steht im Gesetz drin, dass sie nicht benachrichtigen müssen, wenn die Person nur umständlich zu ermitteln wäre, und die nur am Rande betroffen sind. Da meinte Schaar zu, Leute, bei denen die Identifikation aufwendig wäre, seien durch die Recherchen womöglich mehr beeinträchtigt als durch das Abhören selbst (WIE BITTE?!?) und daher sei das schon OK, wenn man dann nicht benachrichtigt.
Überhaupt gibt es da diese Klausel, dass das BKA bei geringfügigen Fällen entscheiden darf, dass der Abgehörte wahrscheinlich KEIN INTERESSE (I kid you not!) daran hätte, benachrichtigt zu werden, und das dann lassen. Daher denke ich, der CCC sollte mal zum Congress einen Brief-Vordruck machen, mit dem man dem BKA mitteilen kann, dass man IN JEDEM FALL daran interessiert ist, über Abhörvorgänge informiert zu werden. Unglaublich.
Die Sachverständigen haben kein gutes Haar an dem Gesetz gelassen. Es war klar: wenn sie das reparieren wollen, wäre das ein Totalschaden-Aktion, wegschmeißen und neumachen. Daher bin ich mir sicher, dass die das Gesetz genau so kaputt durchwinken werden, und dann werden wir wieder nach Karlsruhe gehen müssen. Der Grünen-Typ hat die Sachverständigen auch mit den Worten begrüßt, er sei dankbar, dass sie nach den ganzen letzten Gesetzen, wo ihre Vorschläge sämtlichst verworfen worden seien, immer noch für diese Anhörungen zur Verfügung stünden. So läuft das da ab. So wird bei uns Politik gemacht.
Oh, eine wichtige Sache noch, die mir bisher nicht so klar war. Das Verfassungsgericht hat bei den Tagebuch-Regelungen entschieden, dass strafrechtlich relevante Erkenntnisse grundsätzlich nicht in den Kernbereich der privaten Lebensführung fallen. In Verbindung mit dem "Richterband"-Vorschlag heißt das: die hören weiterhin alles ab, der Richter schneidet dann das Stöhnen während des Koitus und das Schnarchen heraus, und das Geständnis dazwischen wird verwertet. Genau so wird das ablaufen. Oh und natürlich sind keine Mittel vorgesehen, um die Richter zu finanzieren, die das machen sollen, bzw die dann nötigen Dolmetscher.
Die schriftlichen Stellungnahmen gibt es hier als PDF, falls ihr da mal reingucken wollt.
Ein Highlight gab es noch mit Herrn Dr Roggan, der sich die ersten fünf Stunden eher blass, zurückhaltend und wenig kontrovers gab, der aber in den letzten Minuten noch einen echten Knaller brachte, als er meinte, die Daten dürfen man nicht nur nicht an Länder weitergeben, bei denen dem Betroffenen die Todesstrafe drohe, sondern auch nicht an Folterländer wie die USA oder die Türkei. Niemand reagierte entsetzt darauf, ich bin mal gespannt, ob sie das aus dem offiziellen Transkript raus zensieren.
Hier mal ein paar Ziercke-Stilblüten:
Hier kann gar nicht davon die Rede sein, dass das gegen Unbescholtene eingesetzt wird!
Verschlüsselung schafft strafverfolgungsfreie Räume!
Es geht nicht um den intelligenten Internetnutzer, sondern um die Netzwerke, da kommt man immer irgendwie rein.
Wer heute VoIP mit Skype macht, kann sich sicher sein, dass das nicht abgehört werden kann. [Ja! Hat er schon wieder gesagt!!]
... welche Hindernisse vorliegen, zum Beispiel Firewall, Antiviren, ... [er weiß also genau, dass er da Malware baut]
Wir brauchen verdeckte Einbrüche, damit wir sicher sind, den richtigen Rechner zu erwischen!
Dann wären ja alle Polizeien weltweit Geheimdienste! [auf die Frage nach den nachrichtendienstlichen Befugnissen, die seine Behörde da kriegen soll]
Wir arbeiten im Moment mit Methoden aus der Steinzeit! Es dauert 8 Monate, bis wir einen Server in China öffnen können, und dann finden wir, dass die Daten seit 7 Monaten gelöscht sind!
Gefahr im Verzug braucht man für den Bundestrojaner, weil man ja nur in der Minute zugreifen kann, wo derjenige online ist!
Die Onlinedurchsuchung hat ja mit dem Kernbereichsschutz nichts zu tun. [ach ja?]
[Auf die Frage, ob sie denn mit der Rasterfahndung schon Erfolge hatten] Mit der Rasterfahndung haben wir Verdächtige identifiziert, das sehen wir als großen Erfolg. Was erwarten Sie den, was wir da erreichen können? [Naja, vielleicht etwas mehr als ein Verdacht? Wie wäre es mit einem Täter?]
[Auf die Frage, wozu sie die Online-Durchsuchung brauchen] Bei den Sauerländern haben wir verschlüsselte Dateien gefunden, die haben wir bis heute nicht entschlüsseln können! [Überraschung!!1!]
Kritik [an den neuen Geheimdienstbefugnissen] verhöhnt die Polizei, die in den Ländern mit diesen Befugnissen hunderte von Menschenleben gerettet haben.
[Angesprochen auf den Blödsinn, den sein Abgesandter beim Verfassungsgericht erzählt hat] Das war ein unautorisierte Aussage eines Mitarbeiters!
Völlig klar, wenn der Ziercke jemanden observieren läßt, dann ist das ein Verbrecher! Das hat dann vermutlich die Precog-Abteilung herausgefunden oder so. Ziercke hat sogar den Sprengstofflaster zur WM noch mal zitiert, der ja angeblich aus dem Baltikum kommen und Deutschland per schmutziger Bombe verstrahlen sollte, sich dann aber schnell als komplette Fiktion herausstellte.
Ach, ein Highlight noch, von Prof Kutscha. Der hat mir ja sehr gut gefallen, der Mann. Der hat u.a. argumentiert, dass wir die selben Argumente ("unverzichtbar!", "Untergang des Abendlandes droht, wenn wir das nicht kriegen!!1!") schon beim großen Lauschangriff gehört haben, und heute benutzen sie das nur ein paar Mal im Jahr und das ist völlig unwichtig als Maßnahme. Und er hat die mangelnde Definition von "internationalem Terrorismus" sehr anschaulich illustriert, indem er argumentierte, da seien unter anderem Wirtschaftsgüter betroffen (das habe ich ja damals als "Onlinedurchsuchung bei Sachbeschädigung" kritisiert), und daher könne man argumentieren (er zitierte da auch noch ein EU-Gerichtsurteil in die Richtung, dass Streik als Handelshemmnis darstellte), dass von Gewerkschaften ausgerufene Streiks Terrorismus seien und unter dieses Gesetz fielen. Fand ich so toll, dass ich mich bei dem in der Kaffeepause persönlich bedankt habe, dass er das gebracht hat.
Oh, einen habe ich noch. Einer der SPD-Email-Ausdrucker sprach da davon, bei den Sauerländern hätten sie drei Tetrabyte an Daten gefunden (Danke an slowtiger für den schönen Photoshop). Bwahahahaha

Update: Lacher am Rande: es kam die Frage auf, warum wir nicht einfach die Formulierungen des Bayerntrojaner-Gesetzes nehmen, woraufhin sich die Sachverständigen unisono einig waren, dass das auch ganz offensichtlich verfassungswidrig ist.

Übrigens, mein persönlicher Held der Veranstaltung ist der Prof Geiger, der am Anfang ruhig und gesetzt rüberkam, aber immer schön seriös alle Punkte zerlegt hat. Der war mal BND-Präsident, was mich ja doch schockiert hat, weil der der einzige war, der da mit moralisch-ethischen Argumenten gegen das Gesetz kam. Der sprach auch als einziger ein Verwertungsverbot an, das ich ja auch gefordert hatte, für den Fall, dass sie Gefahr im Verzug brüllen und nach drei Tagen der Richter meint, der Einsatz sei illegal. Dafür habe ich ihm auch in der Mittagspause persönlich gedankt, und daraufhin wurde er nach der Mittagspause echt zum Tiger und kam da mit geradezu missionarischen Argumenten ala "Stellen Sie sich mal vor, SIE seien von so einem Gesetz betroffen, was für einen Rechtsschutz genießen Sie denn dann noch?" Erschütternderweise stießen diese Argumente bei den Abgeordneten auf völliges Unverständnis, so meinte der eine CDU-Apparatschik dazu "Sie tun ja geradezu so, als würden wir diese Maßnahmen gegen Unschuldige einsetzen!1!!". Äh, ja, genau das ist die Gefahr, Sie Knalltüte! Also der Geiger hat mir sehr gut gefallen. Wenn ich einen Orden verleihen könnte, er würde ihn kriegen.

Heise hat auch eine Meldung dazu, aber die liest sich fast als wäre der Herr Krempl bei einer anderen Anhörung gewesen :-)

Die Tagesschau findet auch, dass der Konsens war, dass das verfassungskonform war, und zitiert dafür ausgerechnet Prof Gusy, der da länglich argumentierte, dass man Artikel 13 dafür ändern müsse. Und von all den Kritikpunkten zitieren sie einen organisatorischen ("könnte mit den Zuständigkeiten der Bundesanwaltschaft kollidieren") und einen relativ leicht widerlegbaren ("könnte den falschen Computer treffen"). Pfui, Mainstream-Medien, Pfui! Noch schlimmer ist der erste Artikel dazu, wo sie gar keine Bedenken gehört haben (die müssen sich da was in die Ohren gesteckt haben).

Und wenn tagesschau.de wenigstens halbwegs seriös rüberkommt mit ihrer Falschberichterstattung, dann hat der Stern gar keine Hemmungen, dem Volk ins Gesicht zu lügen. Kein einziger der Staatsrechtler hat den Gesetzentwurf als verfassungskonform bewertet! Nicht mal die beiden CDU-Experten (der Heckmann und der Möstl, der schon vom Dialekt her klang als lehre er in Pullach)! Der Möstl hat immerhin für einige Punkte hanebüchene Rechtsauffassungen zu konstruieren versucht, wieso man möglicherweise für diesen Punkt ohne Verfassungsänderung auskommen könnte, bis es dann das Verfassungsgericht wieder einkassiert. Aber nicht mal DER hat sich da hingestellt und den Entwurf als verfassungskonform bezeichnet. Krass.

Kai Raven war auch da und hat seine Notizen geblogt. Seine Einschätzung zu Prof Gusy teile ich übrigens, der kam mir vor wie ein Hacker im Geiste, der auf Fragen, ob $XY verfassungskonform sei, mit bizarrologischen Konstruktionen antwortete, was man kunstvoll wie auslegen müsse, um da eventuell argumentativ in Richtung Verfassungskonformität kommen zu können. Bei mir blieb der Eindruck zurück, dass das alles in seinen Augen nicht verfassungskonform ist und man da größere Verrenkungen machen müsste, um das überhaupt verargumentieren zu können, aber offenbar sahen das die Experten-Reporter vom Stern anders. Bemerkenswert an dem Geiger war, dass er dieses Mal kraftvoll gegen das Richterband argumentierte, indem er am Ende aufzählte, wer bei einem Richterband (womöglich mit Dolmetschern) die eigentlich absolut geschützten intimen Kernbereichsdetails zu Gesicht bekäme.

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