Digital > Fefes Blog 2.0 > a16052a6
  Leserreporter: Wer schöne Verschwörungslinks für mich hat: ab an felix-bloginput (at) fefe.de!
[zurück][ältere Posting][neuere Posting]  Sonntag, 01 November 2020 | Blog: 1 | No: 45908     feed-image

Warum nicht?

den Gedankengang an, den Drosten hier kurz anspricht

Wenn ihr gerade mal 90 Sekunden Zeit habt, guckt euch den Gedankengang an, den Drosten hier kurz anspricht. Es geht da um die Bedeutung des Wortes Triage und um den ethischen Konsens in der Gesellschaft. Die Sendung ist lang und lohnt sich bestimmt komplett, aber diese 90 Sekunden bringen das prima auf den Punkt.
Im Wesentlichen sagt er, dass die Amerikaner einen anderen gesellschaftlichen Konsens haben, wie der Wert von menschlichem Leben zu bewerten sei, als wir Europäer. In Amerika hat man eine Metrik namens "Years of Potential Life Lost". Wenn auf der Intentivstation ein alter Mensch mit Covid am Beatmungsgerät hängt, mit einer Überlebenschance von 50%, und dann kommt ein 30-Jähriger mit schwerem Covid-Verlauf rein, und du hast kein anderes Beatmungsgerät, dann würde man in den USA ganz knallhart den Alten abhängen und sterben lassen, weil der weniger Restlebenserwartung vor sich hatte.
Das ist nach europäischem Ethik-Verständnis inakzeptabel, daher machen wir lieber im Vorfeld krassere Lockdown-Maßnahmen, damit es soweit nicht kommt.
Das kann auch gleichzeitig als Grund dafür herhalten, wieso wir nicht einmal die Bevölkerung durchseuchen, so ala "ach das bisschen Sterblichkeit, da sterben ja im Straßenverkehr mehr". Oder wieso unser Verfassungsgericht damals gesagt hat: Nein, Schäuble, du darfst keine Flugzeuge abschießen, auch nicht wenn du glaubst, die sind von Terroristen entführt und fliegen gerade auf den Bundestag zu.
Ich finde das eine gute rote Linie. Ökonomisierung von Ethik ist menschenverachtend.

Update: Denkt übrigens auch mal über die "aber da sterben doch nur alte Leute, die eh bald gestorben wären"-Argumentation nach, aber aus der Perspektive der Triage. Vielleicht sind vor allem alte Menschen gestorben, weil die Krankenhäuser Triage nach amerikanischem Modell gemacht haben. Weit entfernt von Scifi-Dystopien wie der Suicide Booth oder Soylent Green (der bei uns übrigens das Jahr 2022 im Titel trug in der Übersetzung) sind wir da nicht mehr.

Und wenn ihr noch eine Minute länger dran bleibt bei Drosten, dann zeigt er Grafik aus Argentinien, wo der Lockdown das exponentielle Wachstum nicht stoppen konnte, obwohl es ein deutlich härterer Lockdown als bei uns war. Warum nicht? Drosten meint: Argentinien ist auf der Südhalbkugel, da war Winter. Wenn wir jetzt hier Winter kriegen, wird das hier ähnlich übel.

Update: Auf Twitter erzählt jemand aus der Schweiz:

Die Triage-Richtlinien in der Schweiz sehen vor, dass Personen über 85 (+ Leute über 75 mit Vorerkrankung) keinen ITS-Platz bekommen. Egal ob die Prognose sehr gut oder schlecht ist. [...]

Wer denkt, dieses Szenario sei noch weit weg: Im Wallis wurde ein 80-jähriger wieder Heim geschickt.

Hier ist eine Meldung zu dem Walliser.

Update: Jetzt kommen hier wie zu erwarten Leute mit "aber was wenn wir auch Triage machen müssen?". Ich sehe das so. Aufgabe der Regierung ist nicht, einen stabilen Regierungsbunker zu bauen. Ein Land im nuklearen Winter braucht keine Regierung, schon gar keine, die aus einem Bunker regiert. Aufgabe der Regierung ist es den Atomkrieg zu verhindern. Dann kommt als nächste Frage: Na man hätte ja $MASSNAHME machen können im Sommer!1!! Das mag sein und ist sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wahr. Aber das ergibt als Gedankenspiel überhaupt keinen Sinn. Aufgabe der Politik ist es aktuell nicht, die Schuld für das bisherige Versagen zu suchen. Das können wir machen, nachdem die Kuh vom Eis ist. Aufgabe der Politik ist es, Schlimmeres zu verhindern. Wenn wir dann doch in eine unlösbare Scheißsituation reinrutschen, dann ist es halt so. Aber es wäre mir viel lieber, wenn wir da reinrutschen, nachdem wir alle Optionen vorher ausprobiert haben und sie nicht funktioniert haben, als weil wir vorher unsere Zeit mit sinnlosen Schuldzuweisungen verplempert haben.

Wir haben jetzt eine Krise, und die wird wahrscheinlich noch viel schlimmer werden. Das ist eine mathematische Sicherheit, soweit man auf der Datenbasis Vorhersagen machen kann. Es gibt kein Szenario gerade, bei dem alles spontan gut wird, so ala "und dann teilten sich die Wolken und die Hand Gottes kam herunter und heilte uns alle". Also hört bitte mit den beiden sinnlosen Selbstsabotagevarianten auf: Nachdenken über "was wenn wir alle sterben müssen" und nachdenken über wer im Sommer was hätte besser machen können. Denkt lieber darüber nach, was wir alle und insbesondere ihr selber jetzt besser machen könnt. (Danke, Barbara)





[zurück] [ältere Posting][neuere Posting]
[zurück] [ältere Posting][neuere Posting]

Fefes Latest Youtube Video Links