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[zurück][ältere Posting][neuere Posting]  Sonntag, 01 November 2020 | Blog: 7 | No: 45914     feed-image

Hey, warum sollen die Medienkompetenzübungen hier eigentlich immer von mir kommen?

[Telepolis-Story]

Hey, warum sollen die Medienkompetenzübungen hier eigentlich immer von mir kommen? Hier ist eine, die ein Leser vorschlägt:
hast du Lust auf eine kleine wissenschaftliche Medienkompetenzübung im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie? Dann habe ich hier ein wunderschönes Beispiel für dich:
[Telepolis-Story]
Der Autor des Artikels - seines Zeichens Psychologieprofessor - stellt die steile These auf, dass die zweite Infektionswelle in Deutschland ja gar nicht real sei, sondern eigentlich nur ein Artefakt der Testmethodik. Seine Argumentation geht grob wie folgt: Single-Target-PCR-Tests - also Tests, die nur genau auf das Hüllprotein-Gen prüfen - würden auch bei anderen, harmlosen Stämmen von Coronaviren positiv anschlagen. Genau diese Stämme seien aber saisonbedingt wieder im Kommen; man teste also in Wirklichkeit gar nicht auf SARS-CoV-2, sondern auf Coronaviren im Allgemeinen. Zudem gebe es ja gar keinen erkennbaren Anstieg in den bundesweit berichteten Atemwegserkrankungen, und die Intensivstationen seien auch nicht stärker ausgelastet als noch im Sommer.
Der Artikel ist sprachlich gut geschrieben, liest sich plausibel und ist unterfüttert mit diversen Quellenangaben, Grafiken und Tabellen aus reputabler Quelle, die die These des Autors zu stützen scheinen. Im Heise-Forum hat er jedenfalls viele überzeugt.
Ich finde den Artikel ehrlich gesagt so überzeugend nicht. Es geht los mit:
  1. Die Anzahl der Covid-Intensivpatienten verdoppelt sich aktuelle alle 8 Tage.
  2. Da könnten auch Autounfälle als Covid-19 gezählt werden

Wer genau aufgepasst hat, wird direkt feststellen: Daraus folgt erstmal nichts weiter, selbst wenn es stimmen sollte. Ob jetzt ein Autounfall dem schweren Covid-Verlauf vorgreift - Intensivpatienten sind häufig immungeschwächt, manchmal sogar künstlich herbeigeführt (bei Krebs oder Organtransplantationen etwa). Dann so Geraune wie:
Letzteres wird auch in einer offiziellen Antwort des RKI auf eine entsprechende Anfrage bestätigt.
Ach? Ist das so? Wieso ist dann hier kein Link auf die Anfrage oder die Bestätigung?
Womöglich werden manche Intensivpatienten als "COVID-19-Intensivpatienten" geführt, obwohl sie keinerlei COVID-19-spezifische Krankheitssymptome aufweisen und in Wirklichkeit aufgrund von anderen Ursachen auf der Intensivstation liegen.
"Womöglich"?
Aber ich will dem Einsender nicht vorgreifen, seine Ausführungen gehen noch weiter:
Jetzt kommt der springende Punkt: Wenn man die Zitate, Grafiken und Tabellen einzeln genauer unter die Lupe nimmt, stellt man Schritt für Schritt fest, dass nahezu jede Aussage, die der Autor daraus ableitet, so aus der Quelle nicht hervorgeht.
Mal ist die Datenbasis unvollständig und nicht repräsentativ.
Mal gehen die aktiven Covid-19-Fälle im allgemeinen Grundrauschen der Millionen von berichteten Atemwegsinfekten unter.
Mal ist die Stichprobengröße winzig. (Da schreiben sich die Psychologenwitze wie von selbst!)
Mal missversteht der Autor, welche Gene in welchen Virenstämmen vorkommen und in welchen nicht.
Mal unterschlägt der Autor willkürlich, dass die hohe Falschpositivrate in einer zitierten Studie durch Vertauschung von Proben zustande kam - was in der Studie selbst bereits analysiert und korrigiert wird.
Das liest sich alles nicht schön, aber eine Sache will ich anmerken: "Die Datenbasis ist unvollständig" ist ein generelles Problem für beide Seiten. Da muss man bei neuen Krankheiten mit leben, dass man nur Fragmente der Fakten hat. Da kann man trotzdem Dinge draus schließen, aber die sind dann halt fehlerbehaftet und man sollte ich dann in die Richtung zu irren versuchen, die weniger Menschenleben kostet.
Lacher zum Schluss ist die folgende Passage zur Frage 'aber warum sind dann in unseren Nachbarländern die Intensivstationen bereits überlastet?':
"Hier wäre allerdings zunächst zu überprüfen, inwiefern es sich hier um einen Effekt handelt, welcher im Vergleich zu den Vorjahren einen Ausnahmefall darstellt, oder ob es sich stattdessen um einen typischen saisonalen Effekt handelt. Nur im ersteren Fall ist davon auszugehen, dass es sich tatsächlich um einen Effekt des neuen Virus SARS-CoV-2 [handelt]. Eine solche Analyse liegt allerdings außerhalb des Rahmens dieses Artikels."
Keine weiteren Fragen dazu. :-D
Unterm Strich lässt sich festhalten: Die angeführten Quellen geben viele Informationen her, aber die These des Artikels stützen sie definitiv nicht! Der Autor ist übrigens kein Unbekannter, sondern hat schon während der ersten Infektionswelle geleugnet, dass es überhaupt eine erste Welle gebe. Insofern würde ich ihm hier auch nicht nur Schlampigkeit unterstellen, sondern bewusste Irreführung
Ach naja, das finde ich immer schwierig, Unbekannten Bösartigkeit vorzuwerfen.
Übrigens: Das Phänomen, das diesem Artikel zugrundeliegt, hat der Drosten in seinem von mir heute morgen verlinkten Auftritt ja erklärt. Die Kliniken sagen gerade alle Operationen ab, bei denen am Ende zusätzliche Intensivpatienten rauskommen würden. Weil sie eben die Covid-Entwicklung sehen und so viele Betten wie möglich für Covid-Patienten freihalten wollen. Es kann also sein, dass der Telepolis-Autor das korrekt beobachtet hat und da nur nicht die richtigen Hintergründe kannte.
Übrigens an der Stelle auch gut passend: Die Antibiotika-Verschreibungen sind auf 20-Jahre-Tiefstand. Weil dank Abstand und Masken weniger Leute Infektionen abkriegen. Das wird vermutlich auch dazu führen, dass mehr Intensivbetten frei sind, die dann von Covid-Patienten aufgesogen werden.
Eine andere Sache muss man auch noch im Auge behalten. Krankenhäuser werden ja inzwischen auch als Profit Center gefahren, wenn es nicht gerade Unikliniken sind. Das heißt, wenn die die Wahl haben, ob sie einen Patienten nach Hause schicken oder noch ne Woche liegen lassen, dann haben sie einen finanziellen Anreiz, die länger liegen zu lassen. Ich will jetzt niemandem Korruption unterstellen, aber die finanziellen Anreize sind ganz klar da. Ob das bei Intensivstationen ein Faktor ist weiß ich nicht, aber von regulären Stationen weiß ich es.
Überhaupt muss man bei Statistiken immer vorsichtig sein. Sobald die für sowas wie Leistungskontrolle verwendet werden, gibt es verzerrende Sekundäreffekte. Nach Einführung der (freiwilligen!) Qualitätskontrolle in Krankenhäusern ging z.B. die Mortalität auf den Intensivstationen hoch. Auflösung: Die Stationsärzte haben ihre todgeweihten Patienten kurz vor dem Ableben auf die Intensivstation verlegt. Weil das in der Statistik besser für unsere Station aussieht, wenn der Patient dort stirbt als bei uns. Wissenschon.
Die Datenbasis, die wir für unsere Entscheidungen heranziehen, wird daher immer unvollständig und gelegentlich auch manipuliert oder irreführend sein. Damit muss man umzugehen lernen.
Ich persönlich maße mir nicht an, hier die Details bis zum Ende zu verstehen. Daher ziehe ich mich auf eine Risikoabwägung zurück. Und die sieht halt so aus: Drosten sagt, es gibt ein Problem, wir müssen jetzt was tun. Bhakdi sagt ist alles im grünen Bereich, kein Problem. Wenn wir Drosten glauben und er hat Unrecht, dann verplempern wir möglicherweise unnötig ein paar Milliarden und beschädigen die Wirtschaft (die eh mehr Ressourcen verbraucht als der Planet regenerieren kann und mehr CO2 ausstößt als wir dürften). Dafür müssen weniger Menschen vermeidbar sterben.
Wenn wir Bhakdi glauben und er hatte Unrecht, dann haben wir Blut auf den Straßen, verlieren auch Milliarden und die Wirtschaft fährt auch runter.
Auf der Plus-Seite, wenn Drosten Recht hat, dann waren die Maßnahmen ein guter Deal. Wenn Bhakdi Recht hat, haben wir ein paar Milliarden gespart.
Wenn ich da die möglichen Gewinne bei Drosten und Bhakdi mit den möglichen Schäden vergleiche, dann ist die Sache völlig klar. Wir machen, was Drosten sagt.
Ich finde das übrigens auch politisch wichtig, dass unsere Wirtschaft mal merkt, dass das mit dem ewigen Wachstum vorbei ist, und dass wir da Dinge umstellen müssen werden.
Oh und einen noch: Dass in unseren Nachbarländern die Intensivbetten schon voll sind, das hat tatsächlich auch den Hintergrund, dass die noch stärker als wir auf eine Ökonomisierung des Gesundheitssystem gesetzt haben. Die haben unter massivem Kostendruck ihre Intensivkapazitäten runtergefahren, weil unbenutzte Intensivbetten ja Geld kosten und nichts bringen. Wir in Deutschland haben unseren Kostendruck auf das Personal umgelenkt und die leiden jetzt unter menschenunwürdiger Bezahlung und Ausbeutung. Wir haben zwar mehr Intensivbetten pro Bevölkerung aber unser Personal hat Burnout. Ob das jetzt besser ist sei mal dahingestellt.

Update: Einige Leser wenden jetzt ein, dass die finanziellen Anreize für Liegezeiten weg sind, weil die gesetzlichen Kassen auf Fallpauschalen umgestellt haben. Der Anreiz wäre dann eher, so jedenfalls die Idee, die Patienten möglichst sofort wieder zu entlassen. Bei den gesetzlichen Kassenpatienten funktioniert das wohl auch ganz gut.

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