60 Jahre eines Provisoriums

Stolz auf diese Verfassung

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Autor: Gert Flegelskamp   
Kann ein Mofafahrer mit einem 50ccm Motor behaupten: "Ich bin stolz auf mein Motorrad?" Genau so verhält es sich mit dem Grundgesetz (GG) und die FAZ titelt trotzdem: Stolz auf diese Verfassung. Ich bin verunsichert.

Wir haben keine Verfassung, auch wenn uns das jede Regierung seit Jahrzehnten mit einer Konstanz einzureden versucht, die sie ansonsten nur bei Diätenerhöhungen und der opportunistischen Haltung zu den USA aufzuweisen haben. Wir haben ein GG, ein Provisorium, von den Alliierten nach 1945 diktiert, nicht von der Bevölkerung abgestimmt, sondern lediglich von den damaligen Landesfürsten verabschiedet, die von den Alliierten trotz teilweiser Nazi-Vergangenheit akzeptiert und eingesetzt wurden. Das inzwischen geteilte Land führte nur zu einer Gültigkeit des GG in den Ländern der französischen, britischen und amerikanischen Zone, während die russische Zone andere Wege ging. Die Verfasser des GG, gerne auch als Väter des GG bezeichnet, haben in der Präambel und in Art. 146 festgeschrieben, dass es sich um ein Provisorium handelt, eine Art Leihgabe, bis das Land wiedervereinigt ist. Dann solle es durch eine vom gesamten Volk in freier Wahl verabschiedeten echten Verfassung abgelöst werden.

Wenn die FAZ schreibt, dass Kauder betont hätte, das Grundgesetz habe Deutschland zu Einheit und Wohlstand gebracht und wird es auch wieder aus der Krise führen, ist das eine der hochgestochenen Floskeln politischer Machart, deren Aussage mich an die Floskel der Finanz-Haie erinnert, die uns eizureden versuchten (oft sehr erfolgreich). Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten. In einer anderen Gazette war zu lesen, dass die ganze Welt voller Neid auf unsere Verfassung schaue. Unterstellen wir, dass auch mit dieser Aussage das GG gemeint war, dann birgt diese Aussage möglicherweise einen Kern der Wahrheit. Welches Land kann seine Verfassung mit der geradezu spielerischen Leichtigkeit ändern, wie das bei uns nicht nur geht, sondern auch regelmäßig praktiziert wird. 56 Mal haben unsere Volksvertreter das GG an ihre politischen Wünsche seit 1949 angepasst? Welches Land hat die Möglichkeit, in seiner Verfassung definierte Grundrechte zu ignorieren, in der Gewissheit, dass verfassungswidrige Gesetze in der Regel 2 bis 3 Legislaturperioden unbeanstandet angewendet werden dürfen und nur, wenn jemand die Ausdauer besitzt, auf Jahre hinaus durch alle Instanzen zu gehen, dann auch evtl. zu erreichen dass ein Gesetz auf den Prüfstand der BVerfG kommt? Die wenigen Ausnahmen aufgrund einer Normenkontrollklage oder der Anrufung durch ein Instanzengericht nach Art. 100 einmal ausgenommen. Ja, ich könnte mir vorstellen, dass das so einige Länder neidisch machen kann.

Die Realität in Deutschland ist, dass die Wiedervereinigung nicht dazu geführt hat, dass die Parteien und die Regierung nun auch der Aufforderung der Präambel und dem Artikel 146 gefolgt wären. Sie haben sie einfach mit der Wiedervereinigung geändert und behaupten dass in Meinungsumfragen die Bevölkerung mit "überwältigender Mehrheit" dafür gestimmt habe, das GG als endgültige Verfassung anzuerkennen. Das Meinungsumfragen nun eine Volksbefragung bzw. einen Volksentscheid ersetzen, ist wohl eine neue Variante politscher Machart. Ich kann das verstehen, sind Meinungsumfragen doch so leicht so zu gestalten, dass das gewünschte Ergebnis herauskommt. Man muss nur die richtigen Leute fragen.

Nein, ich denke nicht, dass diese Festveranstaltung des Bundestages und alle schwülstigen Worte über das GG etwas an den Fakten ändern. Deutschland hat keine Verfassung, obwohl es sie als Folge der Wiedervereinigung seit 19 Jahren haben müsste. Das, was man uns als Verfassung aufzuschwätzen versucht, ist ein Provisorium, welches inzwischen derart oft geflickt wurde, dass vom ursprünglichen Inhalt kaum noch etwas zu finden ist. Es ist ein Provisorium, das nicht wirklich Kontrolle über die Gesetzgebung ausübt, eine der Grundvoraussetzungen für eine Verfassung. Die Kontrolle überlässt man dem Innenministerium und ich könnte mir vorstellen, dass ein Herr Schäuble, wenn er darüber nachdenkt, von einem Lachanfall in den nächsten fällt.

Nein, das GG hat uns keine Freiheit und keinen Wohlstand gebracht, im Gegenteil. Die Freiheit wird systematisch beschnitten, die Armut nimmt zu, dank des Umstandes, dass die Gesetzgebung keine Kontrolle durch Verfassungsrecht fürchten muss, zumindest nicht für viel zu lange Zeiträume. Und es wird uns nicht aus der Krise führen, sondern uns weiter in sie hineinführen. Das zeigen die Machenschaften der Verantwortlichen derzeit überdeutlich. Wenn Kauder sagt, sie haben UNS Freiheit und Wohlstand gebracht, meint er insgeheim vermutlich nur die Festgemeinschaft im Plenarsaal.

Gert Flegelskamp


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