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60 Jahre eines Provisoriums

60 Jahre deutsche Verfassung

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Autor: Gert Flegelskamp   
Vor 60 Jahren wurde am 23. Mai 1949 das Grundgesetz verabschiedet, was so manche Gazette dazu verleitet hat, von "60 Jahren Verfassung" zu schreiben. In der WELT schreibt der Kommentator Thomas Schmid den Beitrag: Unsere karge, aber wunderbare Verfassung

Mein Eindruck über diesen Artikel ist, dass ihm wohl die Tränen der Rührung die Backen hoch gelaufen sind. Im ersten Satz fragt er: "Kann man die Demokratie exportieren?" Auf diese Frage möchte ich Herrn Schmid antworten: "Nein, das geht nicht, weil Demokratie eine Illusion ist!" Ich kenne kein Land, in welchem Demokratie herrscht. Demokratie bedeutet "Herrschaft durch das Volk" und die kann nicht damit erzeugt werden, dass man in Intervallen an einem Tag zur Wahlurne schreiten darf, um seine Stimme einer Partei zu geben, die dann, wenn sie als Wahlsieger aus der Wahl hervorgeht, sofort vergisst, dass es dort draußen, außerhalb des Elfenbeinturms, in dem sie sitzt, noch Menschen gibt, denen sie allerlei versprochen hat, ohne die wirkliche Absicht, ihr Versprechen einzuhalten. Auch der Umstand, dass man heute nicht mehr wegen Majestätsbeleidigung verklagt werden kann, wenn man Zweifel an der Politik äußert, ist kein Zeichen von Demokratie sondern eher die Erkenntnis, dass man jemanden, der ohnehin nichts bewirken kann, ruhig schwätzen lassen kann. Nein Herr Schmid, Demokratie ist nichts als ein Taschenspielertrick, der der zuschauenden Masse die Illusion aufdrängt, sie wäre am politischen Geschehen indirekt beteiligt. Der aufmerksame Beobachter wird hingegen schon skeptisch, wenn er sich das Ausmaß der sich erweiternden Behördenwillkür betrachtet, deren Mitarbeiter ungestraft oftmals ihre Befugnisse weit überschreiten und den Begriff "Staatsdiener" ins Gegenteil verkehren.

Ein kleiner Tipp, Herr Schmid, sie sollten sich, bevor sie derartigen Unsinn verzapfen, sich mal ernsthaft mit der Entstehung des Grundgesetzes auseinandersetzen. Die, wie sie schreiben, "vielen Väter und wenigen Mütter der Verfassung" haben ausdrücklich betont, dass das Grundgesetz keine Verfassung sein sollte, sondern lediglich ein Provisorium, das durch eine vom Volk abgestimmte Verfassung ersetzt werden sollte, wenn das Land wieder vereinigt sein würde. Das hatte nichts mit Bescheidenheit zu tun, sondern war ein Kompromiss gegenüber den Alliierten, die auf die Gestaltung einer Verfassung drängten und in dieser Verfassung dann auch ihre Wünsche einbinden lassen wollten. Die vielen Väter und wenigen Mütter haben deshalb in der Präambel und in Art. 146 ausdrücklich festgeschrieben, dann nach der Wiedervereinigung dieses Provisorium enden solle.

Von Politik, Staatsrechtlern und auch der Presse wird immer wieder behauptet, Elemente des Plebiszit wie Volksentscheid, Volksinitiativen und Volksbegehren sowie Volksbefragungen) seien im Grundgesetz nicht vorgesehen. Das Plebiszit sei wegen der Erfahrungen der Weimarer Republik, dass sich auf diesem Wege die extremistischen Elemente Gehör verschaffen könnten, im GG auf Bundesebene ausdrücklich vermieden worden. Ausgenommen wird der Art. 146 (Verfassungsauftrag) und Art. 29 (Neugliederung der Länder). Der Ausschluss einer Einflussnahme der direkten Demokratie durch das Volk wird mit der Aufteilung der Gesetzgebungsgewalt in die ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung in den Artikeln 70 bis 74 begründet, in welchen die Rechte des Bundes und die der Länder zur Gesetzgebung definiert werden. Doch vielleicht lesen Politiker und Staatsrechtler das GG auch nur so, wie sie es gerne lesen möchten. In Art. 79 (so genannte Ewigkeitsklausel) steht in Abs. 3:

    (3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

    Art. 20 GG ist der wesentliche Bestandteil der als Grundrechte definierten Artikel 1 bis 20!